Abitur­rede (von Betül Güldali)

Wir haben unser Abitur. Irgend­wie haben wir es ge­schafft.

Jetzt denken wir alle an die Zukunft, was wollen wir machen, was kommt auf uns zu. Du planst deine Zukunft mit dem Gedanken, Fehler aus der Vergan­genheit nicht zu wieder­holen. Zu solch einer Zeit ver­lieren wir uns in der Zukunft und der unver­änder­lichen Vergan­genheit.
Doch du hast nicht die Zukunft oder die Vergan­genheit, ledig­lich diesen Moment. Und ich dachte mir, ich erzähle in diesem Moment, während ich hier stehe, was ich doch so Nütz­liches gelernt habe als Schüler­in.
Ich habe gelernt, dass alle in der Zukunft erfolg­reich sein wollen. Während ich mit vielen meiner Mit­schüler über ihre Zukunfts­pläne sprach, ist mir aufge­fallen, dass nicht jeder das gleiche unter Erfolg versteht. Aber eine be­stimmte Defi­nition von Erfolg war öfter ver­treten als andere .
Die Art von Erfolg, die uns in der Vergan­genheit oftmals beige­bracht wurde und immer noch wird:

  • sich erfolg­reich in die Gesell­schaft, in die Menge einzu­fügen;
  • eine hohe Stellung zu erlangen und das Wich­tigs­te – viel Geld zu ver­dienen.

Erfolg­reich ist man für viele erst dann, wenn diese Aspekte erfüllt sind. Uns wurde unser Leben lang meist nur eine Version des Erfolges gelehrt. Der Erfolg, bei dem meistens unsere Familie, unsere Freunde, unsere Umgebung zu­frieden sind. Alle, außer wir selbst.
Euer Erfolg wird aber sein, was ihr hinter­lasst wenn ihr nicht mehr auf der Welt weilt. Viel­leicht eine Familie, die nie die Liebe zu euch ver­gessen wird. Viel­leicht Menschen, denen ihr auf irgend­eine Weise geholfen habt. Viel­leicht Menschen, die ihr inspi­riert habt, die ihr zu etwas Bedeu­tendem bewegt habt. Defi­niert euch selbst den Begriff Erfolg neu!
Die Zahlen auf eurem Bank­konto werden nicht der Maßstab eures Erfolges sein. Die Lach­fältchen um eure Augen werden euren Erfolg zum Ausdruck bringen!
Ich habe auch gelernt, dass nicht wenige Menschen einem das Gefühl der Unvoll­kommen­heit geben. Sie geben einem das Gefühl, sich ver­ändern zu müssen, sich wandeln zu müssen, um einem Standard zu ent­sprech­en oder den Erfolg nach der Defi­nition anderer zu er­reich­en. Auch dies ist ein Aspekt, der nicht selten auftritt. Viele Menschen geben einem im Leben, ins­beson­dere in der Schule, das Gefühl, dass man nicht genug ist. Dass man als Mensch unvoll­kommen und unfähig ist. Doch wie wäre es, wenn wir uns selbst und den Menschen bei­bringen, dass oftmals nicht das Ver­ändern unseres Wesens uns an unser Ziel bringen wird, sondern dass wir uns selbst erst einmal finden und akzep­tieren müssen?
Wir müssen erkennen, dass wir alleine mehr als genug sind, dass an uns nichts fehlt oder falsch ist, dass uns die ganze Welt offen steht und dass wenn wir Dinge wirklich wollen, diese auch möglich sind. Dies sind Werte, die in unsere Schul­laufbahn öfter verloren gingen. Doch gab es auch Menschen, Lehrer die uns weitaus mehr gelehrt haben als nur ihr Fach, sondern die uns auch etwas über das Leben selbst beige­bracht haben. Die uns das Gefühl gaben, dass unsere Stimme zählt und unsere Meinung auch eine bedeu­tende Stellung für sie hat.
Viele werden es viel­leicht nie wissen, aber während unserer Schul­laufbahn gab es auch Menschen, die andere inspi­riert und geprägt haben, und die auf eine Weise auch meine eigene Lebens­philoso­phie beein­flusst haben.
Während unserer wenigen Jahre, ins­beson­dere während unserer Jahre in der Schule, haben nicht nur wir uns ver­ändert, sondern auch die Welt insge­samt, die Menta­lität vieler Menschen und die Atmos­phäre. Es gab und es gibt immer wieder Gescheh­nisse, die von Angst und Hass bestimmt sind. Dies haben wir alle in den letzten Jahren mit­er­lebt und stecken noch mitten­drin in einer Welt mit vielen Menschen, die so ängst­lich sind, dass sie Hand­lungen voll­ziehen, die wir nicht ver­stehen.
Ich habe auch gelernt, dass unsere Hand­lungen ein Kompro­miss zwischen unseren Idealen und unserer Realität sind. Wenn man sich als Mensch mitten in einer manchmal so trau­rigen Realität befindet, was sind denn dann nun unsere Ideale? Was für Ideale ver­treten wir als Menschen? Was ist unser Antrieb, das Fund­ament unseres Ehr­geizes? Ist er auch geprägt von Trauer oder Angst wie die Realität selbst, von der Angst vor dem Versagen?
Wir alle sind auf dem Weg, erwach­sen zu werden. Manche viel­leicht früher oder später als andere. Doch habe ich gelernt, dass es ein paar Dinge gibt, bei denen man lieber noch ein Kind bleibt. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich noch in die Grund­schule ging, da drehte ich mich gern um mich selbst, so schnell ich konnte, weil ich dachte, dass ich dann irgend­wann fliegen könnte. Dabei bin ich natür­lich mehrmals hinge­fallen. Doch was mich am meisten damals gestört hat, waren nicht die Wunden an meiner Hand oder an meinen Knien, sondern eher die Blicke der Eltern, die mich dabei beob­achte­ten, wenn ich hinfiel. Diese Ge­sichts­aus­drücke… Manche lächel­ten mir mit­leids­voll zu, andere starrten mich arg­wöhnisch an. Ich hab damals nie ver­stan­den, warum Erwach­sene uns nie ver­stehen konnten. Doch ich stand immer wieder auf, denn irgend­wann, das wusste ich, werde ich fliegen.
Nun bin ich ein bisschen älter und erkenne, dass Kinder das Leben oft besser beherr­schen als Erwach­sene. Und was mir an Erwach­senen am meisten fehlt, ist genau dieser Gedanke, dass man nämlich un­besieg­bar ist.
Die Angst, zu versagen, beein­flusst so viele Ent­schei­dungen in unser aller Leben, man hat Angst, sich zu ent­blößen, zu fallen, zu offen­baren, das man ein Mensch ist und ver­letz­lich ist.
Wir werden im Leben noch so oft versagen, wahr­schein­lich werden wir sogar öfter versagen als gewinnen. Unter Um­ständen werden wir immer und immer wieder versagen für eine Weile, denn manchmal muss man sich ver­lieren, um sich selbst zu finden. Doch wir sind un­besieg­bar, denn unsere Unbe­siegbar­keit besteht letzt­lich darin, keine Angst vor dem Versagen zu haben – ein Gedanke, den ich selbst schon manchmal ver­gessen habe. Denn diese Grund­einstel­lung ist nicht etwas, das man erlernen muss, sie liegt im Gegen­teil schon tief in uns seit unseren Kind­heits­tagen. Doch sie gerät nun mal nach einiger Zeit in Ver­gessen­heit.

Ich bin un­besieg­bar weil ich keine Angst vor dem Versagen habe.

Lasst das Gefühl der Angst euch nicht davon abhalten, eure lang ersehn­ten Wünsche und Träume zu verwirk­lichen. Wählt nicht einen Lebens­weg, nur weil dieser euch gerade als der siche­rere er­scheint. Natür­lich möchte jeder im Leben abge­sichert sein. Wir sehnen uns alle nach dem Gefühl der Sicher­heit, aber das Leben ist nun mal grund­sätzlich nicht sicher. Daher sage ich, findet euch, eure Bestim­mung, vertraut eurem Instinkt, geht den Weg, den ihr schon immer gehen wolltet. Lasst nicht zu, dass ein kurz­fristi­ges Gefühl oder Menschen euch dazu bringen, dass ihr an euch selbst zweifelt! Bestimmt selbst die Kom­pro­misse, die ihr mit der Realität und euren Idealen eingeht! Denn wie furcht­erre­gend und unver­änder­lich die Realität auch er­schei­nen mag, ihr seid die Pioniere eurer Ideale.

Die wich­tigs­ten Werte, die ich gelernt habe, kamen von einer Person, die mich schon länger kennt als ich mich selbst. Meine Mutter. Sie hat mir gezeigt, was es heißt, Frau, stark, unab­hängig, mutig zu sein.
Sie hat mich gelehrt, dass ich weitaus mehr sein kann, als andere denken.
Sie hat mich gelehrt, dass Bildung ein Geschenk ist und eine Mög­lich­keit, der ich mein Leben lang nach­jagen sollte.
Sie hat mich gelehrt, dass man manchmal im Leben absicht­lich stolpern sollte, um den Fall kürzer zu machen.
Danke, dass du mir diese Werte in die Wiege gelegt hast.

Es gibt ein Zitat von Toni Morrison, einer meiner Lieb­lings­schrift­stelle­rinnen:

“Wenn ihr diese Jobs bekommt, für die ihr trai­niert wurdet und frei seid, erinnert euch daran, dass euer wahrer Job darin besteht, auch jemand anderen zu befreien. Wenn ihr Stärke besitzt, bestärkt jemand anderen. Das Leben ist kein „Nimm dir raus, was du willst“-Spiel!”

Es gibt viele Aspekte, die man aus diesem Zitat unter­strei­chen könnte, doch ich hab mich nur für einen ent­schieden – für die Tatsache, dass wir andere stärken und be­stär­ken sollen, weil diese anderen nun mal nicht hier stehen oder dort unten sitzen und wie wir die Chance hatten, ihre Abitur­prüfung abzu­legen, nachdem sie jahre­lang eine Schule besuchen durften, um sich das Wissen anzu­eignen, das wir uns halbwegs ange­eignet haben.
Denn das Leben ist so: manche haben eine Chance und manche nicht.
Und keine haben meistens die, die im falschen Land, im falschen Körper, in die falsche Familie hinein geboren wurden. Sie, und auch viele von uns werden verur­teilt.
Dennoch haben wir eine Chance bekommen und das einzige, was uns von anderen unter­scheidet, sind unsere Chancen im Leben. Wir alle hier haben eine bekommen – andere werden nie eine haben.
Deshalb kann ich nur sagen, nutzt diese gut, denn ihr habt diese Mög­lich­keit nicht, weil ihr besser als jemand anderes seid! Ihr habt einfach eine. Nehmt das nicht als selbst­verständ­lich hin und gebt alles, was ihr habt, mit der Hoffnung, dieser Chance gerecht zu werden und auch jemand anderem eine Chance geben zu können.

Unsere glück­lichen Abituri­enten und Abi­turien­tinnen sind (Vorname, Nachname):
Sabedin Ademov­ski, Oguzhan Merih Adin, Elisa­beth Agougno, Cagan Akgül, Aylin Aksan, Davut Aksoy, Sanem Aksoy, Aysegül Aktas, Selen Aktas, Seda Albayrak, Mihrican Aydeniz, Kerime Aydin, Besim Bali, Berkay Baytekin, Kyra Becker, Aylin Asena Bicer, Adnan Yasin Bilac, Melanie Braun, Carolyn Zoe Breßer, Cennet Bulat, Süleyman Cam, Elif Cayirli, Adelina Ceka, Rüveyda Nur Celik­kaya, Nur Efsan Cetin­kaya, Salih Cicekdal, Dersim Coba­noglu, Karim Hüseyin Cömert, Caner Delice, Esra Nur Demirel, Enis Ömer Dogru, Malika El Abdouni, Soufian El Abdouni, Etrit Emini, Dolunay Fidan, Mara Geh­ringer, Yüksel Genc, Yusuf-Emre Gencas­lan, Felix Glaser, Eren Gül, Betül Güldali, Oktay Güleryüz, Faruk Güney, Joyce Hiel­scher, Ghied Hussein, Ensar Isik, Metin Harun Isirlar, Elif Kandil, Deniz Kaya, Tarik Kepez, Mustafa Yasin Kilic, Emrullah Kilinc, Gamze Köroglu, Gülistan Koruk, Mihriban Kösger, Melih Alper Kulak, Yannick Kupper­schmid, Eslem Kurt, Furkan Kuruderi, Hasibe Mal, Gurbet Mal Ilhan, Enes Molo, Melina Mulalic, Marc Alexan­der Nowa­kowski, Nilay Ögünc, Melissa Ona, Erva Öncel, Raquel Ilayda Otag, Burak Özcan, Muharrem Mert Özcan, Rana Özcan, Burcu Öztas, Can Öztürk, Rene Pilar­czyk, Yaren Polat, Aleyna Sarac­basi, Dogukan Sariyar, Nazli Sarki, Marvin Schmidt, Melisa Sezgin, Swathiga Suseelan, Marcel Sygulla, Can-Muhammed Tasci, Dilara Yalcin, Mehmet Ali Yildirim, Sedef Yildirim, Koray Yildiz, Faruk Yilmaz, Enes Yüce