Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf werden in einer Klassengemeinschaft des Gymnasiums unterrichtet. Dabei werden die fachlichen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen nach ihrem jeweiligen Leistungsvermögen gefördert. Soziale Ziele stehen im Vordergrund des gemeinsamen Lernens. Alle Kinder sollen im Erleben der Andersartigkeit voneinander lernen können. Es geht darum, Leistungsgefälle zu ertragen und zunehmend Verantwortung für das gemeinsame Lernen zu übernehmen.
Die Lernsituation in den inklusiven Klassen
Seit dem Schuljahr 2014/15 sammeln wir Erfahrungen mit dem inklusiven Unterricht. Die dabei entstehenden organisatorischen, pädagogischen und sozialen Veränderungen werden dabei als vorteilhaft, aber auch herausfordernd für alle Beteiligten wahrgenommen. Die Anwesenheit von Förderschullehrern und Integrationshelfern ist für die Klassen eine Neuerung und eine notwendige Hilfestellung. Lehrer der Förderschule unterstützen die Fach- und Klassenlehrer im Unterricht und erweitern die individuelle Förderung. Davon profitieren auch die Regelschüler der Klasse. Die FörderschullehrerInnen beraten die Fach- und Klassenlehrer bei auffälligen Schülern. In einer inklusiven Klasse entwickelt sich ein anderer Umgang mit individuellen Stärken und Schwächen, was zu einem außergewöhnlichen sozialen Zusammenhalt führt. Alle Schüler können dabei eine Reihe von sozialen Kompetenzen erwerben:
- Verständnis entwickeln
- Rücksichtnahme üben
- Probleme erkennen
- besondere Verantwortung entwickeln
- Akzeptanz und Toleraz einüben
Die Lehrer des Gymnasiums, die sich zur Arbeit in inklusiven Lerngruppen bereit erklärt haben, entwickeln ihrerseits durch Erfahrungen neue Kompetenzen im Umgang mit sonderpädagogisch geförderten Schülern. Sie nehmen spezielle Eigenarten und Ausprägungen des Lern-, Leistungs- und Sozialverhaltens mit einer größeren Akzeptanz wahr und erwerben langfristig angelegte Strategien einer kleinschrittigen Lernplanung in Abstimmung mit den Sonderpädagogen.
Vom Rollenverständnis zur Teambildung und Kooperation
Bei der Umsetzung unseres Inklusionskonzeptes spielt die Teambildung eine große, wenn nicht sogar die größte Rolle. Deshalb ist es sicherlich von Vorteil, wenn Kollegen an den Schulen es bereits gewohnt sind, in Teamstrukturen zu arbeiten und wichtige Regeln für die Arbeit im Team kennen sowie Vorteile einer Teamarbeit bereits schätzen gelernt haben. Für die Teamarbeit an unserer Schule haben wir verschiedene “Grundregeln” aufgestellt, wovon hier nur einige genannt werden sollen. Teamarbeit braucht:
- klare Strukturen und festgelegte Aufgabenverteilung
- offene Diskussion und gemeinsame Lösungssuche im Sinne der Übereinstimmung
- offene Kritik
- offene Kommunikation
- ein entspanntes und gelöstes Klima
Bei den Teamstrukturen entwickeln sich vier wichtige Ebenen der Teamarbeit (diese Teamstrukturen gelten in fast gleichem Maße für Teamlehrer im Rahmen von Team-Teaching):
- Teamstruktur I: Klassenlehrer und Förderlehrer
- Teamstruktur II: Fachlehrer und Förderlehrer der Klasse
- Teamstruktur III: Die Schulleitung
- Teamstruktur IV: Das gesamte Kollegium
Im Folgenden werden diese Strukturen im entsprechenden Kontext näher erläutert.
Teamstruktur I: Klassenlehrer und Förderlehrer
Die intensivste Form der Zusammenarbeit bildet die Kooperation von Klassenlehrer und Förderlehrer. Sie bildet das Fundament für das gemeinsame unterrichtliche Arbeiten. Das ergänzende Arbeiten von Regelschul- und Förderschullehrer ist der wesentlichste Aspekt in der gemeinsamen Arbeit. Dadurch eröffnen wir uns viele neue Möglichkeiten. Förderlehrer und Regelschullehrer sind automatisch gemeinsame Tutoren einer Klasse und damit entsprechend gemeinsam in das Leben und Lernen der Klasse eingebunden. Der Regelschullehrer kann
- fachliche Qualifikationen im Unterricht einbringen,
- Unterricht an Bildungsstandards, Lehr- und Arbeitsplänen orientieren,
- allgemeine Beobachtungen vornehmen,
- Unterrichtsprozesse aufgrund von Beobachtungen der Durchschnittsschüler vornehmen,
- förderpädagogische Aspekte entsprechend der verschiedenen Fachrichtungen im Unterricht einbringen,
- Unterrichtsprozesse gezielt beobachten,
- und bei Bedarf diagnostisch tätig werden,
- unter der Beachtung der individuellen Besonderheiten Unterricht zusätzlich individualisieren und dadurch intervenieren oder präventiv tätig werden,
- fachliche Unterstützung auf den Teamsitzungen leisten.
Teamstruktur II: Fachlehrer und Förderlehrer der Klasse
Die Fachlehrer stehen in ständigem Kontakt mit dem Förderlehrer. Sie besprechen gemeinsam die Unterrichtsthemen des nächsten Schulhalbjahres. Zu Beginn des Schuljahres treffen sich alle Beteiligten der inklusiven Klassen. Die individuellen Stärken und Schwächen der Schüler werden vorgestellt. Danach wird der Förderumfang in jedem einzelnen Fach besprochen und festgelegt. Im Laufe des Schuljahrs finden regelmäßige Förderplangespräche mit den einzelnen Fachlehrern in Kooperation mit dem Förderschullehrer statt.
Teamstruktur III: Die Schulleitung
Die Schulleitung ist ein wichtiges Element mit Blick auf die praktische Umsetzung unseres inklusiven Konzeptes. Zentral bei dieser Teamstruktur ist der Aspekt der Anteilnahme. Dies geschieht in vielerlei Hinsicht. Sie kooperiert, indem sie der inklusiven Schularbeit interessiert und offen begegnet, grundlegende Bereiche der Zusammenarbeit (Klassenkonferenzen, Förderpläne, Zeugnisse, Zeitvorgaben u. ä.) festlegt bzw. überhaupt erst ermöglicht (Schaffen von Raum und Zeit in Teamsitzungen und bei Dienstbesprechungen, Einrichten einer Fachkonferenz Inklusion, flexible Handhabung der schulinternen Arbeitspläne nach Absprache etc.). Inklusive Schule beinhaltet eine methodische und didaktische Umgestaltung von Unterricht. Hier fungiert die Schulleitung als weiteres Teammitglied der Lehrkräfte, indem sie beobachtend, aber auch aktiv (als Teamlehrer) dem Unterricht beiwohnt, in anschließenden Gesprächen kritisch Stellung bezieht und sich gemeinsam mit Fach- und Förderlehrer über weitere Vorgehensweisen berät. Ebenso nimmt sie in regelmäßigen Abständen an den Treffen der Förderlehrer teil und beteiligt sich aktiv beim Erarbeiten des Inklusionskonzeptes im Rahmen der Schulentwicklung.
Teamstruktur IV: Das gesamte Kollegium
Inklusive Schule ist ein Thema der gesamten Schule, des gesamten Kollegiums. Die Umsetzung einer solchen Intention eines inklusiven Unterrichtens setzt z. B. eine systematische Anwendung von Methoden und Differenzierungsmöglichkeiten voraus. Dies wiederum erfordert gemeinsame Absprachen und die Entwicklung von Differenzierungskonzepten. Deshalb ist eine große Teamentwicklung im Kollegium unabdinglich, weshalb Inklusion sehr oft ein Thema bei Dienstbesprechungen, Konferenzen, in Zukunftswerkstätten und Studientagen sein muss.
Fazit ist: Ohne Teamarbeit ist keine Inklusion an einer Schule denkbar. Dabei sind alle erwähnten Teamstrukturen wichtig und keine darf vernachlässigt werden.
Resultat einer erfolgreichen Teambildung
Das Ergebnis einer erfolgreichen Teamfindung ist das ständige Initiieren und Aufrechterhalten eines Dialogs zwischen Regelschullehrer und FörderschullehrerInnen. Gemeinsames Ziel ist es dabei, die Arbeit des jeweils anderen zu ergänzen, um zu einer gemeinsamen Fachdidaktik zu gelangen, die beiden Ansprüchen gerecht wird. Die klassische Rollenverteilung Regelschullehrer – Förderschullehrer ist in diesem Sinne nicht mehr haltbar. Vielmehr handelt es sich um eine Neudefinition beider “Rollen”. Ebenso wird hier einmal mehr deutlich, dass Differenzierung als Antwort auf Heterogenität nicht nur die Reduktion von Lerninhalten bedeuten kann, sondern dass es sich vielmehr um eine methodisch-didaktische Umgestaltung bestehender Konzepte handelt – und zwar auf beiden Seiten. Einerseits geht es um förderpädagogische Aspekte ergänzende Arbeiten des Regelschullehrers, andererseits erfährt die präventive Tätigkeit des Förderschullehrers eine Bedeutungssteigerung. Dies macht das Erweitern der förderpädagogischen Arbeit um fachliche Aspekte unumgänglich.
Die sonderpädagogische Förderung
Zur Zeit gibt es an unserer Schule vier inklusive Klassen über alle Jahrgänge verteilt. Unsere Förderschwerpunkte sind “Emotionale und soziale Entwicklung” sowie “Körper und Motorik” . Bei letztgenanntem Förderschwerpunkt sind die räumlichen Möglichkeiten sowie die sonstige Ausstattung an der Schule begrenzende Faktoren. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? “Sonderpädagogischer Förderbedarf” bedeutet im Sinne der §§ 19 und 20 des Schulgesetzes 2008 zunächst allgemein, dass ein Kind oder Jugendlicher eine größere Aufmerksamkeit bei seiner schulischen Lern- und Entwicklungsförderung benötigt. Dies wird in einem festgelegten diagnostischen Verfahren untersucht und mit einem Gutachten dem Schulamt vorgeschlagen. Dies ist das AO-SF Verfahren (Ausbildungsordnung sonderpädagogischer Förderung). Das Schulamt stellt daraufhin den sonderpädagogischen Förderbedarf fest, bestimmt den Förderschwerpunkt und den Förderort.
Hier ein Überblick über unsere Förderschwerpunkte:
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Förderschwerpunkt “Emotionale und soziale Entwicklung”
(ESE) Aus den unterschiedlichsten Gründen kann die Fähigkeit zum Umgang mit den Gefühlen und zum sozialen Miteinander gravierend beeinträchtigt sein. Diese Kompetenzen sind für eine erfolgreiche Schulzeit von großer Bedeutung. Manche Kinder und Jugendliche haben eine Begleitung nötig, um ihre Verhaltensweisen zu reflektieren. Dabei müssen sie lernen, sich zu ihrem eigenen Wohl und dem ihrer Mitmenschen zu steuern.
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Förderschwerpunkt “Körper und Motorik” (KE)
Wenn die körperlichen Bedingungen für die Bewegung beeinträchtigt sind, werden dem schulischen Lernen schnell schwer überwindbare Grenzen gesetzt. Es sind dann räumliche und bauliche Voraussetzungen zu schaffen, damit ein erfolgreiches Lernen auch unter diesen Bedingungen möglich ist. Gleichzeitig haben Kinder und Jugendliche mit körperlichen Beeinträchtigungen in vielen Alltagssituationen eine Begleitung nötig. Ohne dass es zu einer Überforderung kommt, müssen richtig dosierte Anforderungen gestellt werden. Hilfen geben und Selbstständigkeit einfordern sind bei dieser Begleitung oft eine Gratwanderung. Hilfen und Unterstützung benötigen sie bei der Bewältigung der erheblichen seelischen Anforderungen bzw. Belastungen.
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Förderschwerpunkt “Lernen” (LE)
Die Entwicklung der schulischen Lernkompetenzen ist verzögert und benötigt eine sachkundige Begleitung. Lernerfolge sind für jeden lernenden Menschen als Antrieb zum Weiterlernen nötig. Wenn Kinder außerordentliche Lernschwierigkeiten haben, ist das Risiko des Versagens und Scheiterns sehr groß. Sie benötigen dann frühzeitig andere Lernwege, Unterstützung beim Finden geeigneter Lernstrategien und oft einfach mehr Zeit.
Weitere Förderschwerpunkte, die nicht an unserer Schule unterrichtet werden:
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Förderschwerpunkt “Sprache” (SQ)
Der Gebrauch der Sprache ist nachhaltig gestört. Das führt zu einem erheblichem subjektiven Störungsbewusstsein und beeinträchtigt die Kommunikation. Diese Störung ist nicht durch schulische oder zeitlich begrenzte stationäre Maßnahmen behebbar. Bei einem höheren Grad der Förderung ist Gebärdensprache erforderlich. Eine begleitende Sprachtherapie ist notwendig.
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Förderschwerpunkt “Geistige Entwicklung” (GG)
Die geistige Entwicklung unterscheidet sich in gravierendem Maße von Gleichaltrigen. Die Förderung zielt auf basale Erfahrungen und lebenspraktische Fähigkeiten ab sowie auf den Erwerb grundlegender Kulturtechniken.
Gemeinsame Lerngruppen und inklusive Lerngruppen
Für alle Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf wird die Teilnahme am Unterricht mit Hilfe eines Förderplans individuell organisiert. Verantwortlich sind dafür die FörderschullehrerInnen, die den Informations- und Gedankenaustausch in ihrem Klassenteam nutzen, um die fachliche und soziale Eingliederung voranzutreiben und die größtmögliche Unterstützung auszuschöpfen. Der Förderplan orientiert sich an den diagnostischen Voraussetzungen, die durch den jeweiligen Förderschwerpunkt des Kindes vorgegeben sind. Für die unterrichtliche Umsetzung gibt es dabei einen Unterschied von großer Tragweite:
Wenn die Kinder zielgleich lernen, dann müssen sie grundsätzlich die Zielsetzungen des Unterrichts verfolgen, wie es auch ihre Mitschüler tun. Sind sie gegenüber den Leistungsanforderungen durch ihre Einschränkungen in irgendeiner Weise benachteiligt, kann ihnen ein Nachteilsausgleich durch die Klassenkonferenz zugesprochen werden (z.B. längere Zeiten bei Klassenarbeiten, wenn die Handmotorik verlangsamt ist). Bei zielgleich geförderten Schülern spricht man von einem “Gemeinsamen Unterricht”. Sie erhalten ein reguläres Zeugnis, in dem ihr sonderpädagogischer Förderbedarf und ggf. ihr Nachteilsausgleich ausgewiesen wird.
Andere Kinder werden zieldifferent unterrichtet. In diesem Fall werden für sie im Zusammenhang mit den Unterrichtsthemen veränderte (“differente”) Ziele festgelegt, die sie dann erfolgreich erreichen können. Diese Kinder werden aus formalrechtlichen Gründen in einer so genannten “Integrativen Lerngruppe” zusammengefasst. Ihr Unterricht findet sowohl gemeinsam mit der Klasse als auch getrennt in den Förderräumen statt. Wie und in welchen Fällen diese äußere Differenzierung des Unterrichts erfolgen soll, entscheidet der Förderschullehrer im Einvernehmen mit dem Team. Die Entscheidung ist abhängig von der Passung des unterrichtlichen Angebots zu den jeweils aktuellen Lernmöglichkeiten der Kinder. Alle zieldifferent unterrichteten Schüler erhalten bis Jahrgangsstufe 8 ein Berichtszeugnis, in dem ihre Leistungen im Unterricht und die Entwicklung ihrer Förderung beschrieben werden. Schüler mit dem Förderschwerpunkt “Lernen” dürfen neben den Berichten in ihrem Zeugnis bereits ab der Klasse 5 auch Noten in einzelnen Fächern erhalten, die ihrer Leistung entsprechen. „Eine Bewertung mit Noten setzt voraus, dass die Leistung den Anforderungen der vorhergehenden Jahrgangsstufe der Grundschule/Hauptschule entspricht.” (§ 27 (4), AOSF)